Was macht die Bibel zu einem ganzheitlichen Werk?

Wie eine Sammlung antiker Manuskripte eine zusammenhängende Geschichte erzählt

Die Bibel ist eine bunt gemischte Sammlung antiker Literatur, die moderne Leserinnen und Leser mit einer Frage herausfordert: Warum wurden all diese kurzen Bücher, Gedichte, Prophezeiungen, Briefe und anderen Arten von Schriften in einem einzigen Buch zusammengefasst? Kam das aus Bequemlichkeit oder gab es einen anderen Grund?

Ist die Bibel nur ein willkürliches, wenn auch interessantes Produkt der Geschichte? Es wirkt durchaus manchmal unzusammenhängend, sogar widersprüchlich (z.B. Sprüche 26,4-5). Und wenn es über tausende von Jahren von verschiedenen Autoren und Herausgebern zusammengefügt wurde, wie kann es da etwas anderes sein als willkürlich?

Auf diese guten Fragen gibt es keine einfachen Antworten. Aber wenn wir die Bibel mit einem gewissen System betrachten, erkennen wir eine tiefe Einheit. Die Geschichten greifen ineinander. Wir lesen, wie Personen zum selben Berg, oder zum selben Brunnen zurückkehren, Generation für Generation – und jedes Mal wird die Saga um eine weitere Szene und eine neue Bedeutung ergänzt. Wiederholte Begriffe und Bilder werden zu faszinierenden Mustern. Zum Beispiel haben der Garten Eden, die Stiftshütte, der Tempel und ein Tischler aus dem Nazaret des ersten Jahrhunderts viel gemeinsam, aber nicht auf den ersten Blick.

Um das aufzulösen, lass und zunächst die Struktur der Bibel untersuchen. Dann befassen uns mit den ursprünglichen Autoren, Übersetzern und Herausgebern sowohl der hebräischen Bibel als auch des Neuen Testaments, um die Ursprünge dieser Schriften zu sehen.

Danach werden wir nicht alle Fragen beantworten können. Aber wir werden verstehen, warum die Bibel jedem von uns manchmal so unzusammenhängend erscheint. Wir werden außerdem beginnen zu erkennen, wie die kleineren Geschichten, Gedichte und anderen Dokumente eine einheitliche Geschichte erzählen, die zu Jesus führt.

Bereit? Dann lass uns einen Blick darauf werfen.

Die Struktur der Bibel

Abgesehen von Einleitungen und Anhängen, die von Bibel zu Bibel variieren, beginnt die durchschnittliche Bibel mit der hebräischen Bibel (dem Alten Testament) und endet mit dem Neuen Testament.

Die hebräische Bibel wird auch TaNaCh genannt, ein Akronym für Tora (das Gesetz), Nevi’im (die Propheten) und Ketuvim (die Schriften). Diese Sammlung von Schriftrollen wurde über einen Zeitraum von 1.000 Jahren geschrieben und beinhaltet epische Erzählungen (z.B. Exodus 14, 1. Samuel 17), Poesie (z.B. die Psalmen, Das Hohelied der Liebe), und apokalyptische Literatur (z.B. Daniel 7).

Das Neue Testament ist eine Sammlung jüdischer Texte aus der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts n.Chr. Es beginnt mit den Berichten der Evangelien, in denen die Entstehung der frühen Gemeinde detailliert beschrieben wird. Darauf folgt eine große Sammlung von Briefen von Schlüsselfiguren der Jesus-Bewegung – Lehrer und Missionare, die die Botschaft von Jesu Königreich in der antiken Welt verbreiten. Das Neue Testament endet mit einem Buch über die Endzeit (Offenbarung).

Damit haben wir zwei große Teile, beide bestehen aus einer Sammlung von Schriftrollen. Durch Erzählungen, Gedichte, Prophetien und Lieder nimmt die Bibel uns mit in eindrucksvolle Szenen von Krieg und Tod (z.B.: Klagelieder, 2. Korinther 4,9) und Bilder von Frieden und Hoffnung (z.B. 1. Könige 10, Römer 5). Wir können die altertümlichen, aber wunderschönen Ausdrücke von Liebe hören (Hohelied 4,1-7) und über die Kuriosität von sprechenden Eseln nachdenken (Numeri 22,21-39)!

Wenn wir die einzelnen, verschiedenartigen Teile der Bibel betrachten, scheint sie doch ziemlich zusammenhanglos zu sein. Aber ist sie das tatsächlich?

Was verbindet die Sammlung?

Das Buch Genesis beginnt mit dem Ausdruck „Am Anfang“. Im Garten Eden muss die Menschheit eine gewaltige Entscheidung treffen. Werden sie auf Gottes Anweisungen hören oder werden sie selbst entscheiden wollen, was gut und böse ist (Genesis 3)? Später beginnt der erste Vers des Evangeliums nach Johannes ebenfalls mit den Worten „Am Anfang“, und wir werden zurückversetzt in die Erzählung des Gartens Eden. Beginnt in Johannes 1,1 eine neue Schöpfungsgeschichte? Wiederholt sich hier ein Thema? Was macht Johannes hier?

Diese Wiederholung von Worten, Ausdrücken und Gedanken ist Teil der Genialität, die die Bibel verbindet. Während sich die Geschichte des Evangeliums durch Matthäus, Markus und Lukas entwickelt, finden wir uns in einem Garten wieder, in dem ein weiterer Mensch eine gewaltige Entscheidung treffen muss (Matthäus 26,36-45, Markus 14,32-42, Lukas 22,39-46). Wird diese Person, Jesus, sich Gottes Anweisungen fügen oder wird er einen anderen Weg wählen?

Die Geschichte in Genesis nahm eine tragische Wende, aber die damit verbundene Geschichte des Evangeliums endet mit Hoffnung. „Nicht, wie ich will, sondern wie du willst” sagt dieser neue Mensch (Markus 14,36). Genesis und das Evangelium nach Markus sind in radikal unterschiedlichen Stilen im Abstand von tausenden von Jahren geschrieben worden, aber sie erzählen eine einzige Geschichte.

Wiederholte Symbole, Begriffe, Schauplätze, Handlungsstränge und Charaktere – diese Dinge nutzen die biblischen Autoren, um die ganze Sammlung miteinander zu verbinden. Wenn wir lernen, diese Muster zu erkennen, beginnt das Gefühl zu verschwinden, dass die Bibel unzusammenhängend ist, und die gesamte Geschichte fügt sich zusammen.

Es gibt noch einen anderen Weg, die Einheit der Bibel zu erkennen: Indem wir lernen, wer die biblischen Autoren waren und woher sie kamen.

Wer schrieb die hebräische Bibel?

Biblische Autoren waren nicht nur bekannte Boten wie Mose, Jesaja und Paulus. Es waren auch Hirten darunter, Reformatoren, Schriftgelehrte und Propheten. Als die Israeliten aus dem Exil in Babylon in ihr eigenes Land zurückkehrten, brachten sie die Texte mit, die später zum hebräischen Kanon wurden.

In ihrer aktuellen Form ist die hebräische Bibel ein ausgefeiltes literarisches Werk, in dem verschiedene Schriften miteinander verbunden sind. Ja, Mose oder Jesaja oder ein anderer Autor mag die jeweilige Geschichte aufgeschrieben haben, aber wir lesen nicht ihren ersten Entwurf. Stattdessen haben erfahrene Schriftgelehrte und Propheten am Ende des Prozesses diese Sammlung von Schriften zusammengestellt und aufbereitet (ca. 200-300 v. Chr.).

Diese „Herausgeber“ arbeiteten genau wie die Autoren erfüllt vom Heiligen Geist, um das zu kommunizieren, was Gott zu sagen hatte. Die Autoren und die „Herausgeber“ waren die Geist-erfüllte Gemeinschaft, die die hebräische Bibel geschrieben und zusammengestellt haben.

Wer schrieb das Neue Testament?

Die Texte des Neuen Testaments wurden innerhalb weniger Jahrzehnte von Personen geschrieben, die noch mit der ersten Generation von Leitern der Jesus-Bewegung verbunden waren. Während des ersten Jahrhunderts begannen Boten (oder Apostel) aus der Jesus-Gemeinschaft damit, die Geschichten, Augenzeugenberichte und Briefe aufzuschreiben, die schließlich zum Neuen Testament wurden. Wie die hebräische Bibel ist auch dieser Teil eine Zusammenarbeit von Personen unterschiedlichster Herkunft und Bildung (z.B. ein Fischer, ein Arzt, ein Zöllner, ein Pharisäer und viele mehr).

Ein aufsteigender jüdischer Schriftgelehrter namens Paulus begegnete Jesus, wurde ein Apostel, und begann, Briefe an einzelne Personen (z.B. Philemon, Timotheus) und Gemeinden in Ephesus, Philippi, Kolossä, Rom und anderen Orten der mediterranen Welt zu schreiben. Mitglieder dieser Gemeinden teilten und verbreiteten diese und andere Briefe (z.B. Kolosser 4,16), und bald wurden sie als ganze Sammlungen weitergegeben (2. Petrus 3,15-16).

Paulus und sein Team aus berufenen Aposteln schrieben an Gemeinden in der ganzen antiken Welt, um sie in ihrer Nachfolge für Jesus anzuleiten.

Fazit: Die zusammenhängende Geschichte der Bibel

Um eine einzige Geschichte zu erzählen, weben viele Fäden jedes einzelne Stück biblischer Literatur zusammen. Die Autoren der hebräischen Bibel bauen Vorfreude auf eine Zeit auf, in der alle Versprechen Gottes erfüllt werden. Und die Autoren des Neuen Testaments sagen, dass diese Zeit mit Jesus gekommen ist. Sie glauben, dass er der Höhepunkt einer Geschichte ist, die tausende von Jahre vor seiner Geburt begonnen hat.

Diese großartige literarische Sammlung lädt uns ein, an der Geschichte teilzuhaben, indem wir lernen, die im Text verwobenen Muster zu erkennen. Wenn wir diese Elemente entdecken, Erzählung für Erzählung, dann beginnen wir auch zu erkennen, wie sie die ganze Bibel zusammenhalten.

Original von Shara Drimalla & BibleProject Team
Übersetzung von Julia Pfeifer

Was sagt die Bibel über Engel und Cherubim?

7. September 2023
Wer sind diese Engel in der Bibel? Wann und warum tauchen sie auf? Und wie verhalten sie sich im Vergleich zu anderen himmlischen geflügelten Wesen, die in der Bibel beschrieben werden?

Die Bibel mit deinem ganzen Selbst lesen

30. September 2022
Die Bibel sieht den Menschen als ein ganzheitliches, geistliches Wesen, das über mehrere Fähigkeiten verfügt – Denken, Fühlen, Anbeten und Handeln. Dabei können wir aber lernen, in einem Gleichgewicht zu leben, und zwar auf eine ganzheitliche, von ganzem Herzen kommende Weise.

Sind die Gleichnisse von Jesus mit Absicht so verwirrend?

1. Juni 2023
Jesus ist ein Künstler, und manchmal auch ein geheimnisvoller Künstler, der sein Publikum gerne mal herausfordert. Dafür benutzte er Gleichnisse. Das sind kurze, fiktive Erzählungen voller lebendiger Metaphern. Aber warum wählt Jesus diese Art der Kommunikation?
Der Link wurde in die Zwischenablage kopiert.