Den Griechen wird das Evangelium verkündet

Ein unbekannter Gott wird bekannt gemacht

Wie kam es, dass sich eine kleine, ursprünglich in der jüdischen Landbevölkerung angesiedelte religiöse Bewegung über das gesamte römische Imperium ausbreiten konnte und dabei, wo immer sie hingelangte, Aufruhr und geistliche Umwälzungen verursachte? Das genau ist die Frage, die Lukas, der Verfasser der Apostelgeschichte, zu beantworten versucht. In der ersten Hälfte seiner Apostelgeschichte erzählt er von den frühen Jahren der christlichen Bewegung aus Sicht verschiedener Charaktere. Die zweite Hälfte dagegen folgt den Missionsreisen eines einzigen außergewöhnlichen Menschen: Paulus.

 

Was bisher geschah: Apostelgeschichte 1 – 16

 

Lukas, der Paulus auf vielen seiner Reisen begleitete, berichtet in Apostelgeschichte 9 von dessen Bekehrung. Wir erfahren, dass Jesus Paulus speziell als sein „auserwähltes Werkzeug“ berufen hatte. Er sollte Seinen Namen „bei Nichtjuden und ihren Königen genauso bekannt machen wie bei den Israeliten“. Warum legt Lukas den Fokus der zweiten Hälfte seines Buches auf Paulus? Weil Paulus perfekt geeignet ist für die Aufgabe, die ihm Gott zugeteilt hat. Er verkörpert genau das, worauf es Lukas in seiner Erzählung ankommt. Nirgendwo zeigt sich die besondere Befähigung von Paulus deutlicher als in Apostelgeschichte 17, während seiner Zeit in Athen. Wir werden die Predigt von Paulus vor den Athenern in Apostelgeschichte 17 gleich genauer betrachten, doch zunächst brauchen wir etwas Kontext.

Bei dem berühmten Apostelkonzil in Jerusalem, von dem wir in Apostelgeschichte 15 lesen, wurde die Frage aufgeworfen, ob auch Nichtjuden Teil von Gottes Familie werden können. Bereits wenige Jahrzehnte nach Jesu Tod versammelten sich die Leiter der christlichen Bewegung, um klare Regeln für die Frage festzulegen, welche kulturellen und theologischen Praktiken für heidnische, also nichtjüdische Gläubige, anzuwenden wären. Sollten sich die neu Bekehrten beschneiden lassen (was das traditionelle Zeichen der Zugehörigkeit zur jüdischen Gemeinschaft und zum Volk Gottes seit Abrahams Zeiten war) oder nicht? Es stand aber noch mehr auf dem Spiel als nur das Thema der Beschneidung. Die Frage war, ob die neuen Gläubigen zunächst Juden werden mussten, bevor sie Christen werden konnten.

Als Petrus in Apostelgeschichte 10 auf eindrucksvolle Weise die Bekehrung eines römischen Zenturios namens Cornelius erlebte, (eine Art zweites „Pfingsten“ für die Nichtjuden), ermöglichte das Apostelkonzil, dass das Christentum in jeder Kultur, in der das Evangelium Wurzeln schlägt, auf eigene Art seinen Ausdruck finden darf. Seitdem gilt, dass es nicht nur jüdische Christen gibt. Es ist nun auch möglich, ägyptischer, römischer, arabischer oder eben auch – wie wir in Apostelgeschichte 17 sehen werden – griechischer Christ zu sein.

Diese Entscheidung war keine Erfindung der Gemeindeleiter bei diesem Konzil. Sie folgten mit ihrer Entscheidung vielmehr einem Plan, den Christus selbst schon für sie festgelegt hatte. In Apostelgeschichte 1 hatte ihnen Jesus selbst den Verlauf der frühen Christenbewegung aufgezeigt, als er ihnen sagte, dass sie seine Zeugen sein würden „in Jerusalem, in ganz Judäa und Samaria und bis in den letzten Winkel der Welt.“ Es war, als wäre die Gemeinde eine Kraft, die sich bei der Ausbreitung von Gottes Königreich immer weiter beschleunigt und dabei immer mehr Menschen in Gottes Familie aufnimmt.

In der ganzen Apostelgeschichte gibt Lukas seinen Lesern immer wieder literarische Wegweiser für jede bedeutende Etappe, die das Evangelium bei seiner Ausbreitung durchläuft. Zu Beginn ist Jerusalem das Zentrum der Gemeinde. Als aber dort eine starke Verfolgung ausbricht, zerstreut sich die Gemeinde in Apostelgeschichte 6 – 9 bis nach Palästina und Samaria. Danach lesen wir in Apostelgeschichte 9 – 12, dass die Gute Nachricht bis nach Antiochia in der heutigen Türkei gelangt. Und im Rest des Buches berichtet Lukas über die Ausbreitung der Guten Nachricht in Kleinasien und Europa; bis nach Rom – in das Herz des Römischen Reiches.

 

Der noch größere Kontext: Von Genesis bis zur Apostelgeschichte

 

Die Erzählung in Apostelgeschichte 17 hat ihren Ursprung eigentlich in Genesis.

Am Anfang der Bibel erhielten Adam und Eva die Aufgabe, die gesamte Erde zu verwalten und zu bebauen, damit alles gedeiht. Der Garten sollte wachsen. Als Gott in Genesis 12 Abraham erwählte und dieser Stammvater einer neuen Familie von Gottes Volk werden sollte, geschah dies, „damit alle Völker der Erde“ durch ihn gesegnet würden. Danach bot das mosaische Gesetz auch eine Lösung für die Nichtjuden, die Gott verehrten und sich seinem Bundesvolk anschließen wollten (Exodus 12). Wie ein guter Priester sollte das Volk Israel zwischen Gott und den Menschen vermitteln und diese in Gottes Gegenwart leiten. In Psalm 22 schrieb David: „Es werden zu Jahwe sich kehren die Völker der Welt“. Durch die gesamten Schriften der israelitischen Propheten hindurch ziehen sich Hinweise und Voraussagen über eine Zeit, in der alle Völker der Erde, auch Israels Feinde, Gott nachfolgen werden.

Später zeigen die Evangelien dann, wie Jesus ständig kulturelle Kategorien und ethnische Schranken aufbrach. Er heilte Juden ebenso wie Nichtjuden; er heilte sogar den Diener eines Zenturios, eines Angehörigen der verhassten römischen Besatzungsmacht (Matthäus 8). Jesus setzte mit dem Boot auf die andere Uferseite des Sees Genezareth über und landete in heidnischem Gebiet an, um dort einen von Dämonen besessenen Mann zu heilen (Markus 5). Er verweilte an einem Brunnen in Samaria, um mit einer ausländischen Frau ein Gespräch zu führen (Johannes 4). Im Gegensatz zu ihren eigenen geografischen und ethnischen Glaubenseinteilungen erklärte er ihr dabei, dass „die Zeit kommt, wo die wahren Anbeter den Vater in Geist und Wahrhaftigkeit anbeten“ – wo immer sie sind und wer auch immer sie sein mögen. Als Paulus sich in Apostelgeschichte 17 erhebt, um zu den Athenern zu predigen, tut er im Grunde nichts Neues. Er ist Teil der biblischen Geschichte. Das Evangelium war im Grunde immer schon auf dem Weg nach Athen.

 

Paulus in Athen

 

In Apostelgeschichte 17 lesen wir, wie Paulus während seiner zweiten Missionsreise in Athen ankommt, nachdem er zuvor aus mehreren griechischen Städten längs der Ägäis vertrieben worden war. Und was tut Paulus gleich nachdem er in Athen ankommt? Er tut dasselbe, was er schon überall getan hat. Er teilt seine Zeit zwischen Synagoge und Marktplatz auf und erzählt allen, die ihm zuhören wollen, von Jesus. Dabei überrascht es nicht, dass Paulus in Athen, der Heimat der antiken Philosophie, mit einigen Philosophen in eine angeregte Debatte gerät. Die Philosophen, die mit Paulus zu diskutieren beginnen, kommen aus bekannten philosophischen Lagern: Dem Stoizismus und dem Epikureismus. Als sie Paulus zuhören, reagieren sie zunächst skeptisch. Sie sagen: „Wovon spricht dieser Schwätzer?“ und „Er scheint über fremde Götter zu predigen“. Aber sie sind fasziniert genug, um ihn auf den Areopag einzuladen – einen Ort, an dem Oberstes Gericht, Stadtrat, Universität und die städtische Ideenschmiede miteinander verschmolzen. Paulus befindet sich plötzlich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit von Philosophen, Richtern und anderen intellektuellen Griechen.

 

Die erstaunliche Predigt des Paulus

 

Zur Erinnerung: Lukas erzählt uns in Vers 16, dass Paulus durch die Stadt ging und die athenischen Götzenbilder sah, was ihn „im Innersten empörte und erschütterte“. Paulus war erzürnt über die Götzenpraktiken in der Stadt, begann seine Rede aber trotzdem mit einem Lob: „Ihr Männer von Athen“, sagt er, „nach allem, was ich sehe, seid ihr außergewöhnlich religiöse Leute.“ Das war kein leeres Kompliment. Das waren die Worte eines rhetorischen Meisterarchitekten, der damit den Grundstein für eine Brücke legte, die zu überqueren er seine Zuhörer gleich einladen würde. Paulus hasste die Götzen, ja, aber er liebte den Gott, der seine Wahrheit so weit verbreitete, dass selbst in einer Stadt, die im Götzendienst versunken war, die Menschen immer noch nach dem Ewigen suchten. Als er ihre Spiritualität lobte, pries er den Gott, der immer schon die Quelle aller guten Dinge war, die sie liebten. Er lobte sie dafür, dass sie bereits auf diesen Gott reagiert hatten, ohne ihn zu kennen.

 

Ein unbekannter Gott

 

Während seines Besuchs in Athen war Paulus auf einen Altar für den „unbekannten Gott“ gestoßen. Eine örtliche Überlieferung erzählte damals von einer verheerenden Seuche, die einst über Athen hereingebrochen war. Die Leute hatten daraufhin jedem Gott im Pantheon Opfer dargebracht, aber die Götter hatten die Seuche nicht beendet. Sie wütete weiter, bis schließlich der Philosoph Epimenides vorschlug, man möge einem unbekannten Gott einen Altar errichten. Nachdem man das getan hatte, wurde die Stadt gerettet. Dieser Altar blieb bis in die Tage von Paulus zum Gedenken an jene Zeit bestehen, als Athen von einem Gott gerettet wurde, den die griechische Religion nicht kannte. Mit seiner Rede auf dem Areopag zeigte Paulus auf, dass die Philosophen falsch lagen, wenn sie ihn einen „Prediger fremder Götter“ nannten. In Wirklichkeit machte er sie nur mit einem ihrer eigenen Götter neu bekannt: Dem wahren Gott, den sie in ihrer Unwissenheit bis zur Ankunft des Paulus bereits verehrt hatten.

 

Er sprach ihre Sprache

 

Paulus baute seine gesamte Botschaft so auf, dass sie eine Brücke darstellte zwischen der christlichen Botschaft und den Dingen, die die Athener bereits wertschätzten und die ihnen vertraut waren.

In seiner Rede bemühte sich Paulus ganz besonders, Formulierungen zu verwenden, die den Griechen bekannt waren. Anders als bei seinen anderen Botschaften in der Apostelgeschichte zitierte Paulus aber an keiner Stelle das Alte Testament. Warum nicht? Weil die hebräischen Schriften für seine Zuhörer keine relevante Quelle darstellten. Paulus erwähnte nicht den Namen „Jesus“ oder die Bezeichnung „Christus“, die griechische Übersetzung des alttestamentlichen Begriffs „Messias“. Wenn er Bezug auf Jesus nahm, nannte Paulus ihn einfach „den Mann, den Gott bestimmt hat“. Gott nannte er „das göttliche Wesen“, denn diese Formulierung war ein griechischer Ausdruck für Gott. Die Stoiker in der Zuhörerschaft (die Gott als „göttliche Essenz“ ansahen) mussten sich mit dieser Art, von Gott zu sprechen, besonders verbunden fühlen.

Insgesamt beschrieb Paulus Gott auf eine Art und Weise, mit der sich sowohl die Stoiker als auch die Epikureer dieser Zeit identifizieren konnten. Die epikureische Sicht auf die Götter betonte ihre Abgeschiedenheit und die Tatsache, dass sie keine Bedürfnisse hatten, die von Menschen gestillt werden konnten. Paulus griff diese Vorstellung auf, indem er sagte, Gott „braucht auch keine Bedienung von Menschen, so als ob er noch etwas nötig hätte“. Die Stoiker dagegen hatten die Vorstellung, dass die Götter im Innersten erfahrbar seien. Dies griff Paulus ebenfalls auf, als er sagte, dass Gott „uns das Leben und die Luft zum Atmen und überhaupt alles gibt.“ Man kann sich das zustimmende Nicken im Publikum förmlich vorstellen.

Aber Paulus wollte nicht nur, dass seine Botschaft verständlich war, er wollte, dass sie die Athener dazu bewegte, an den einzig wahren Gott der Bibel zu glauben. Er wollte, dass seine Worte ihr Herz und ihren Verstand herausforderten und veränderten. Dafür zitierte er zunächst einige ihrer eigenen Dichter. Als Paulus sagte „Denn auch wir sind von seiner Art“, zitierte er unmittelbar aus einem Gedicht des griechischen Poeten Aratos, das Teil eines Hymnus an den griechischen Göttervater Zeus war. Das andere Zitat „durch ihn leben wir, bestehen wir und sind wir“ stammt aus einem weiteren Gedicht über Zeus. Verfasst hatte dieses Gedicht genau derselbe Epimenides, der den Athenern geraten hatte, zur Beendigung der Seuche einem „unbekannten Gott“ einen Altar zu errichten. (Das ist übrigens auch der Epimenides, den Paulus später im Buch Titus einen „Propheten“ nennt.) Wieder zeigte Paulus den Athenern auf, dass der Gott, den er ihnen vorstellte, der Gott war, zu dem sie sich bereits in ihren weisesten Momenten ausstreckten.

Indem er Bezug auf ihre Dichter nahm, lenkte Paulus das Augenmerk seines Publikums auch auf einige Ungereimtheiten, die der griechischen Philosophie und Religion zugrunde lagen. Er lud seine Zuhörer ein, darüber nachzudenken, warum sie das göttliche Wesen für ein Bild aus Silber oder Gold hielten, wenn wir doch Gottes Nachkommen sind. Wenn Gott uns geschaffen hat, wie können wir uns dann vorstellen, dass wir auch Gott schaffen können? Und wenn wir „durch ihn leben…, bestehen … und sind“, wie können wir uns dann vorstellen, dass ein von Menschenhand geschaffener Tempel ihn umfassen kann? Er führte sie damit direkt zu den logischen Schwachstellen der griechischen Philosophie.

In Vers 30 kommt Paulus zu seinem Fazit: Der Gott, der Athen vor der Seuche gerettet hat und den ihr bereits als den „unbekannten Gott“ verehrt, dieser Gott war geduldig mit euch. Er war freundlich zu euch, er hat euch gerettet. Aber jetzt sind die Zeiten der Unwissenheit vorbei und er ruft euch zur Umkehr und zum Glauben an ihn auf. Die Predigt von Paulus gipfelt in der mutigen Behauptung, dass die Wahrheit dieser Botschaft bewiesen ist, weil Gott „einen Mann bestimmt“ habe, der getötet und von Gott von den Toten auferweckt worden sei.

Bei Erwähnung der Auferstehung schlug die Stimmung im Areopag um. Manche Zuhörer lachten ihn aus. Aber in anderen hatte Paulus etwas angerührt, das sie irgendwo, in einem entfernten Winkel ihres Verstandes, auch selbst schon bewegt hat, und sie wollten mehr hören. Andere waren schneller überzeugt, schlossen sich ihm an und kamen zum Glauben.

 

Original von Andy Patton
Übersetzung von Julia Pfeifer

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