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„Dein Auge bringt deinem Körper das Licht.“ – Was Matthäus 6,22-23 bedeutet

Eine Entdeckungsreise in Jesu Metapher über (unsere Beziehung zu) Wohlstand

Für sich genommen ist Jesu Metapher über das Auge, das Licht bringt, schwer zu verstehen. Wenn wir uns aber den Kontext dieser Worte anschauen, wird vieles klarer. Jesus verwendet Symbolik aus der hebräischen Bibel und zeigt damit, dass unsere geistliche Gesundheit sich zumindest teilweise in unserem Umgang mit materiellen Dingen zeigt.

Erstens gehört dieser Satz zur sogenannten Bergpredigt, in der Jesus über verschiedene Themen lehrt (Matthäus 5-7). Er spricht über das Auge als eine Art Fenster des Körpers in einem Abschnitt dieser Predigt, der sich mit den Nachteilen und Gefahren von Wohlstand befasst. Dieser Kontext hilft uns, zu erkennen, dass seine Metapher konkret unsere Beziehung zu Geld und Besitz adressiert.

Zweitens ist Jesus ein jüdischer Lehrer, der bekannte Redensarten aus der hebräischen Bibel verwendet. Biblische Autoren verwenden bildhafte Sprache wie „lichterfüllte“ vs. „trübe“ Augen – oder „gute“ vs. „schlechte“ Augen. Das kann uns helfen, die Absicht hinter Jesu Worten besser zu verstehen. Er macht das Auge zu einem Symbol, das entweder mit Großzügigkeit oder Geiz in Verbindung steht. Das aufrichtige oder gute Auge repräsentiert eine großzügige Person, die anderen gegenüber Gottes Großzügigkeit widerspiegelt, während das schlechte Auge eine selbstsüchtige Person symbolisiert, die lieber nimmt, statt gibt, und die Bedürfnisse anderer missachtet.

Lass uns in den Kontext der Bergpredigt und der hebräischen Bibel eintauchen, um mehr Klarheit über Jesu berühmte (und verwirrende) Worte zu bekommen.

„Dein Auge bringt deinem Körper das Licht. Wenn dein Auge klar ist, kannst du dich im Licht bewegen.  Ist es schlecht, dann steht dein Körper im Finstern. Wenn nun das Licht in dir Dunkelheit ist, welch eine Finsternis wird das sein!“

Eine biblische Interpretation des Auges und seiner Qualität

„Gutes Auge!“ sagt ein Freund, wenn du das fehlende Puzzlestück findest. „Gute Augen!“ sagt ein Optiker, wenn der Sehtest 100% ergibt. Ein gutes Auge zu haben, kann vieles bedeuten, aber Jesus benutzt diesen Ausdruck viel spezifischer.

Das „gute Auge“, auf das Jesus sich bezieht, hat seine Wurzeln in der hebräischen Bibel, wo die Autoren es im Zusammenhang mit Großzügigkeit verwenden. Der hebräische Ausdruck tov ‘ayin bedeutet wörtlich „gutes Auge“, aber viele Übersetzungen verwenden das Wort „großzügig“, um seine tiefere Bedeutung zu zeigen. Schauen wir uns Sprüche 22,9 an:

„Wer großzügig [tov ‘ayin] ist, wird gesegnet sein, denn er teilt sein Brot mit den Armen.“

Das Gegenteil von tov ‘ayin (gutes Auge) im Hebräischen ist ra’ ayin (schlechtes Auge). Dieses Beispiel aus Sprüche 23,6-7 zeigt sowohl die „schlechte“ als auch die „heuchlerische“ Facette dieses Ausdrucks:

„Vom Geizhals [ra’ ayin oder „schlechtes Auge“] nimm keine Einladung an, seine Leckerbissen begehre nicht! Denn er hat alles abgezählt. „Iss und trink!“, sagt er zu dir, aber im Grunde gönnt er dir nichts.“

Dieses Sprichwort warnt davor, irgendetwas von dieser unaufrichtigen Person zu wollen. Selbst wenn sie dir materielle Werte überlässt, sind diese mit Korruption verbunden und sollten insgesamt vermieden werden. Das schlechte Auge beschreibt eine Person, die vorgibt, sich um andere zu sorgen, während sie völlig selbstbezogen bleibt – die in der Öffentlichkeit großzügig scheint, deren eigentliches Ziel aber persönlicher Gewinn ist.

Jesus bezieht sich auf diesen Ausdruck des „schlechten Auges“ in Matthäus 6,23 und wir lesen dort das griechische Wort poneros („schlecht“), um das Auge zu beschreiben. Aber es ist interessant, dass Matthäus nicht auch ein entsprechendes griechisches Wort für „gut“ verwendet, um den Kontrast zum schlechten Auge darzustellen (s. Matthäus 6,22-23). Stattdessen benutzt er das griechische Wort haplous, das gesund, aufrichtig und klar bedeuten kann.

„… Wenn sie [deine Augen] klar [haplous] sehen, bist du ganz und gar vom Licht erfüllt.“ (HfA)

Haplous beschreibt häufig die Absicht einer Person. Es beschreibt den Gedanken, dass Personen mit klarer oder aufrichtiger Absicht authentisch handeln – sie haben das gute Auge. Das Gegenteil von haplous ist diplous, was „doppelt” bedeutet. Personen mit „doppelter“ Absicht sprechen oder handeln auf eine Art, während sie ihr eigentliches Ziel verbergen – sie haben das schlechte Auge. Statt „gut vs. schlecht“ verwendet Jesus hier also „aufrichtig oder klar vs. schlecht“.

Ein weiterer für die Interpretation hilfreicher Punkt ist, dass das zu haplous gehörende Nomen2 haplotes im Neuen Testament häufig für die Kommunikation von Einfachheit, Aufrichtigkeit und Großzügigkeit verwendet wird.

„… Wer Bedürftige unterstützt, tue das uneigennützig [haplotes] “ (Römer 12,8)

„… ihre übergroße Freude und ihre tiefe Armut haben sich in den Reichtum ihrer Freigebigkeit [haplotes] verwandelt.“ (2. Korinther 8,2)

„Er wird euch so reich machen, dass ihr jederzeit freigebig [haplotes] sein könnt…“ (2. Korinther 9,11)

Diese Wortspiele und Ausdrücke deuten darauf hin, dass Jesus die Augen-Metapher nutzt, um konkret auf diesen Zusammenhang hinzuweisen: Dass die geistliche Gesundheit sich zumindest teilweise in unserem Umgang mit materiellen Dingen zeigt. Oder wie der neutestamentliche Theologe R. T. France sagt, „Dieses eher undurchsichtige kleine Sprichwort scheint ein Wortspiel zu sein … um sowohl Aufrichtigkeit als auch Großzügigkeit zu empfehlen … als einen wirkungsvollen Schlüssel zu einem Leben als Nachfolger.“ (Übersetzung durch BibleProject – Deutsch)1

Wie die Augen in der Bibel mit Licht und Dunkelheit in Beziehung stehen

Jesus scheint die Metapher des Auges aus der hebräischen Bibel entnommen zu haben, wo die Autoren das Auge häufig als eine Quelle des Lichts beschreiben, oder einen Ort, an dem Licht wohnt. Augen voller Licht zu haben, kann sich auf die Lebendigkeit einer Person beziehen, wie bei David, der in einem Klagepsalm nach Gottes Hilfe ruft (Psalm 13,4):

„Schau doch her! Antworte mir, Jahwe, mein Gott! Gib meinen Augen Licht [ha’irah einai], dass ich nicht in Todesnacht falle.“

Sprüche 15,30 zeigt ein Beispiel von lichterfüllten Augen als Kennzeichen für Glück:

„Leuchtende Augen [me’or einayim] erfreuen das Herz, die gute Nachricht gibt neue Kraft.“

Und manchmal beschreiben die Autoren auch durch Geistwesen die Augen-Metapher. In Sacharja 4,10 erklärt ein Engel Sacharja, dass die sieben Öllampen Gottes Augen symbolisieren:

„Diese sieben Öllampen sind die Augen [einei] Jahwes, die über die ganze Erde schweifen.“

Umgekehrt beschreiben andere Autoren der hebräischen Bibel dunkle oder trübe Augen, die sich oft auf nachlassende Gesundheit durch hohes Alter beziehen:

„Isaak war alt geworden und konnte nicht mehr sehen [einav]…“ (Genesis 27,1)

„Doch Israels Augen [ve’einei] waren altersschwach geworden, und es konnte nicht mehr gut sehen.“ (Genesis 48,10)

Dunkle Augen können auch extremes Leiden einer Person symbolisieren, wie David es in Psalm 38,11 beschreibt:

„Mein Herz pocht und meine Kraft ist fort, auch meine Augen (in anderen Übersetzungen: „Licht meiner Augen“ [ve’or-einai]) versagen den Dienst.“

Jesus bezieht sich auf diese unterschiedlichen Beschreibungen von lichterfüllten und dunklen Augen, um mindestens zwei Hauptthesen in seiner Lehre deutlich werden zu lassen. Erstens sagt er, dass großzügige Menschen voller Licht bleiben, wie eine Lampe – lebendig und zufrieden, voller Liebe für ihre Nächsten. Zweitens verbindet er das Konzept von lieblosem Geiz mit trüben oder dunklen Augen: Geizige Menschen werden Stück für Stück in Einsamkeit, Isolation und schmerzhafte Dunkelheit fallen.

Ist Wohlstand nicht ein Geschenk Gottes?

Ein Leben mit schlechten Augen und voller Geiz ist ein Leben voller Dunkelheit, sagt Jesus. Und er veranschaulicht das mit dem Gleichnis vom reichen Mann und Lazarus (s. Lukas 16,19-31). Der reiche Mann hat ein schlechtes Auge, weil er nur für sich selbst und seinen Reichtum lebt, während er sich weigert, sich um Lazarus‘ Not zu kümmern.

Aber Moment. Ist Wohlstand nicht ein Zeichen von Gottes Gnade?

Wenn man diese Erzählung Jesu liest, könnte man auf die Idee kommen, dass die Reichtümer des reichen Mannes ein klares Zeichen für Gottes Gnade und Segen sind. Aber in der biblischen Geschichte sind Wohlstand und Reichtum oft Zeichen von brutaler Ungerechtigkeit gegenüber den Schwachen.

Vor langer Zeit, vor dem assyrischen Exil, weist der Prophet Amos wohlhabende Israeliten für ihre Ansicht zurecht, dass ihr Reichtum ein Beweis für Gottes Gunst sei. Amos sagt, ihr Reichtum beweise nur ihren eigenen Geiz, ihre Gier und ihre Ausnutzung der Armen. Während ihr Handeln sozial akzeptabel scheint, befinden sie sich im Widerstand gegen Gott.

Genau das Gleiche passiert mehrere Jahrhunderte später, kurz vor dem babylonischen Exil. So wie der Hund Toto im Märchen „Der Zauberer von Oz“ den Vorhang zurückzieht, um die Schwäche des Zauberers zu zeigen, deckt auch der Prophet Hesekiel Israels große Schwäche auf, die sich hinter Wohlstand und Macht verbirgt.

Hesekiel verkündet, dass Israels Wohlstand und Macht nichts mehr mit Gottes Segen zu tun haben. Er erklärt sogar, dass Gott sich schon lange aus dem Tempel und aus ihrer Mitte zurückgezogen hat. Indem sie Unterdrückung zur Tagesordnung gemacht haben, wurde Israels Wohlstand zu Blutgeld, nicht zu einem Zeichen von Gottes Segen.

Durch die Lazarus-Geschichte deutet Jesus vielleicht an, dass der reiche Mann seinen Reichtum durch Unterdrückung erlangt hat, vielleicht aber auch nicht. Aber Jesus arbeitet wahrscheinlich mit denselben Themen der hebräischen Bibel und fordert uns auf, unsere Beziehung zu Reichtum und die Gründe für unser Festhalten an ihm ehrlich zu überprüfen. Am Ende geht es für den reichen Mann aufgrund seines Egoismus‘ schlecht aus.

Durch Jesu gesamte Lehre zieht sich der Gedanke, dass echte, wunderbare Lebenserfahrungen fast nie etwas damit zu tun haben, dass wir Dinge besitzen. Jesus hat in Armut gelebt und das gute, erfüllte Leben erlebt, weil das gute Leben, das Gott anbietet, in der Liebe für unsere Nächsten wurzelt.

Wohlstand an sich ist weder Licht noch Dunkelheit, aber die Liebe zum Wohlstand ist Dunkelheit. Und den eigenen Wohlstand mehr zu lieben als unseren Nächsten, ist, als würde man das Licht des Auges ausknipsen. Wenn wir das Gleichnis durch diese Brille sehen, können wir die Bedeutung von Matthäus 6,22-23 viel besser verstehen.

Menschen, denen ihr materieller Besitz sehr wichtig ist, glauben häufig, dass sie das Beste erleben, was das Leben zu bieten hat. Aber ein geiziger Lebensstil löscht das Licht von Gottes Ebenbild in uns aus. Gott hat uns als liebevolle, friedvolle Gemeinschaft geschaffen, und wir sind dazu gemacht, freigiebig miteinander zu teilen.

Zwei Herangehensweisen an Besitz

Im größeren biblischen Kontext erkennen wir die Verbindung zwischen Jesu Metapher des Auges und dem Ausdruck aus der hebräischen Bibel zum guten gegenüber dem schlechten Auge. Es geht immer um Großzügigkeit oder Geiz. Mit diesem eindrücklichen Bild warnt Jesus uns, dass auch ein kleines bisschen Geiz das ganze Herz verderben kann:

„Ist es [dein Auge] schlecht … Wenn nun das Licht in dir Dunkelheit ist, welch eine Finsternis wird das sein!“ (Matthäus 6,23)

Glücklicherweise ist auch das Gegenteil wahr:

„Durch die Augen fällt das Licht in deinen Körper. Wenn sie klar sehen, bist du ganz und gar vom Licht erfüllt. (HfA)

Warum verwendet Jesus dieses komplexe und vielschichtige Bild? Warum sagt er nicht einfach: „Seid nicht geizig, sondern großzügig!“?

Vielleicht liegt es daran, dass Metaphern uns zum Nachdenken anregen. Sie wirken durch unsere Schutzmechanismen hindurch und geben uns etwas zum Staunen und Gedanken machen. Vielleicht will Jesus seine Zuhörer kunstvoll dazu anregen, tiefer in ihren Herzen darüber nachzudenken, über einen längeren Zeitraum hinweg, um langsam, aber sicher nicht einfach seinen Anweisungen zu folgen, sondern ihm von Herzen nachfolgen zu wollen.

Wenn wir das Bild vom Auge und seiner Verbindung zu Selbstsucht oder Großzügigkeit reflektieren, können wir nur staunen: Benutze ich andere für meine persönliche Bereicherung, oder lebe ich großzügig anderen gegenüber, zeige ihnen echte Liebe und spürbare Sorge um ihr Wohlergehen? Die selbstsüchtige Herangehensweise schadet uns und isoliert uns in Dunkelheit. Aber Jesus sagt, dass die liebevolle Herangehensweise alle aufbaut und zu einem gesunden, hellen Leben führt.


  1. R. T. France, The Gospel of Matthew, New International Commentary on the New Testament (Grand Rapids: Eerdmans, 2007), 262.
  2. Viele deutsche Übersetzungen verwenden hier kein Nomen. Um die Bedeutungsvielfalt des Wortes dennoch aufzuzeigen, haben wir alle Beispiele aus dem englischen Artikel beibehalten.

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