In Genesis 14 begegnet Abraham einer geheimnisvollen Gestalt namens Melchisedek. Doch wer genau ist dieser geheimnisvolle Melchisedek?
Als Abraham siegreich von einer riskanten Schlacht zurückkehrt, kommt er an der Stadt Salem vorbei, und der König kommt ihm entgegen. Wir erfahren, dass dieser König auch ein Priester ist, der demselben Gott dient wie Abraham.
Es wird nicht gesagt, warum er Abrahams Gott anbetet. Er ist nicht einmal ein Israelit! Wir erfahren nichts über seine familiäre Abstammung. Ehrlich gesagt erfahren wir überhaupt nicht viel über diesen geheimnisvollen Priesterkönig. Als wir dieser Figur im Buch Genesis zum ersten Mal begegnen, wird uns nur eine kurze Geschichte erzählt.
Und obwohl Melchisedek Gegenstand vieler Spekulationen ist, dient diese rätselhafte historische Figur und sein königliches Priestertum als Vorbild für Jesus.
Wer ist Melchisedek in der Bibel?
Schauen wir uns das einmal genauer an. Melchisedek wird in der gesamten hebräischen Bibel nur zweimal erwähnt (Genesis 14,17-20 und Psalm 110,4).
Er herrscht über Salem (wörtlich: Schalem), das später in der hebräischen Bibel mit Jerusalem identifiziert wird (siehe Psalm 76,1-2), wo es heißt: „In Salem stand sein Zelt, auf dem Zion seine Wohnung“.
Melchisedek ist der erste ausdrückliche königliche Priester im Buch Genesis. Die Rolle von Adam und Eva als königliche Priester wird zwar angedeutet, aber Melchisedek wird eindeutig als königlicher Priester bezeichnet. Und überraschenderweise wird uns nicht gesagt, dass er aus dem Geschlecht von Seth, Noah oder Sem stammt. Was wir wissen, ist, dass Melchisedek ein Kanaaniter ist, der Jahwe irgendwie kennt. Als „Priester Gottes, des Höchsten“ (Genesis 14,18, hebräisch El ‘elyon) dient er dem, den Abraham als „Jahwe, Gott, dem Höchsten, dem Himmel und Erde gehören“ (14,22) anerkennt.
Er wird als echter Priester des Gottes Israels verstanden, aber bevor Israel überhaupt existierte und bevor Jahwe unter diesem Namen bekannt war (Exodus 3,12-15).
Überhaupt nicht verwirrend, oder?
Abraham und Melchisedek
Was geschieht nun bei der Begegnung zwischen Abraham und Melchisedek in Genesis 14?
Als Abraham in der Stadt Salem vorbeikommt, kommt ihm Melchisedek entgegen und begrüßt Abraham mit einem Festmahl und einem Segen. Melchisedek segnet Abraham im Namen von El ‘elyon, dem Schöpfer und Herrscher des Himmels und des Landes. Sein Segen ist eine Anerkennung der besonderen Beziehung Abrahams zu Gott und erinnert an die Verheißung Gottes an Abraham in Genesis 12,1-3, dass alle Geschlechter der Erde in ihm Segen finden werden.
Im Gegenzug segnet Abraham Melchisedek, indem er ihm den Zehnten gibt, ein Zehntel seines Besitzes (Genesis 14,20). Wir können also davon ausgehen, dass Melchisedek und die Stadt, über die er herrscht, irgendwann in der Zukunft den Segen Gottes erfahren werden.
Obwohl die Erzählung viele Lücken aufweist, wird Melchisedek hier eingeführt, um zu zeigen, dass Abraham Jahwe in und durch einen königlichen Priester in Jerusalem lange vor der Zeit des levitischen Priestertums und lange vor der Zeit Davids begegnet ist. Und diese Begegnung begründet die Kategorie eines königlichen Priestertums in Jerusalem, die sich im Laufe der biblischen Geschichte weiter entwickeln wird.
Melchisedek und der Messias
Von Melchisedek hören wir in der Bibel erst wieder in Psalm 110. Psalm 110 wird David zugeschrieben, und in diesem Gedicht spricht er von jemandem, der den Bundeseid Jahwes empfängt – jemandem, den David „Herr“ nennt, eine übliche Bezeichnung, wenn er einen König anspricht. Aus 2. Samuel 7 können wir schließen, dass David von seinem zukünftigen Samen spricht, der das messianische Erbe erhalten wird.
In dieser Geschichte verheißt Gott David, dass dieser Same (siehe Genesis 3,15) aus seiner königlichen Nachkommenschaft stammen würde, dass Davids königlicher Nachkomme dem Herrn ein Haus bauen würde und dass Gott diesen Nachkommen über sein Reich einsetzen würde (2. Samuel 7,12-13; 1. Chronik 17,14). Gott wird für diesen Nachkommen ein Vater sein (7,14), woraus wir schließen können, dass Gottes Sohn über ein Königreich herrschen würde, das ewig Bestand haben wird (7,16).
Der Psalmist stellt diesen Samen als einen siegreichen Krieger dar, der über seine Feinde herrscht (Psalm 110,1). Aber in einer überraschenden Wendung kündigt der Psalmist an, dass dieser König auch ein Priester sein wird – nicht aus dem erwarteten Geschlecht Aarons, sondern ein Priester „nach der Ordnung Melchisedeks“. Und der Psalmist behauptet, dass sein königliches Priestertum ewig währen wird.
Psalm 110 zeichnet ein klares Bild von diesem verheißenen Samen, dem Messias, der ein königlicher Priester mit einem ewigen Königreich und einem ewigen Priestertum sein wird.
Melchisedek und Jesus
Im Neuen Testament erklärt der Autor des Hebräerbriefs, dass Jesus der ultimative König und Hohepriester ist. Jesus sitzt auf dem Thron und regiert ewig als König (Hebräer 1,3, 1,13; 2. Samuel 7,16).
Und sein Priestertum? Jesus wird mit den Priestern Israels aus dem Geschlecht Aarons verglichen (Hebräer 5-7). Diese Priester vertraten Israel vor Gott und brachten Opfer zur Sühne für die Sünden des Volkes dar. Diese Priester waren jedoch selbst moralisch unvollkommen und mussten Opfer für ihre eigenen Sünden und für andere darbringen. Dieses Priestertum war unvollkommen. Es brauchte etwas Besseres.
Jesus war der Priester, der gebraucht wurde – derjenige, der das zeitlich begrenzte levitische Priestertum durch ein ewiges Priestertum ablöste. Jesus stammte nicht aus dem Geschlecht Aarons. Er war vielmehr ein Priester nach der Ordnung Melchisedeks, des geheimnisvollen Priesterkönigs des alten Jerusalem. Jesus „hat sich nicht selbst die Würde eines Hohen Priesters verliehen“, sondern wurde von Gott als „Priester nach der Art Melchisedeks“ eingesetzt (Hebräer 5,5-6; Psalm 110,4).
Es fällt auf, dass Melchisedek ohne Stammbaum und ohne Hinweis auf seine Geburt oder seinen Tod vorgestellt wird (Hebräer 7,3). Das ist der Schlüssel. In der antiken Welt hing die Legitimität des Priestertums eines Mannes von seiner Abstammung ab. Dass der Autor Melchisedeks Stammbaum auslässt, bedeutet, dass Melchisedek sein Priestertum nicht aufgrund seiner Abstammung erhielt. Vielmehr wurde er buchstäblich dem Sohn Gottes gleich gemacht (griechisch: aphomoiomenos) und bleibt für immer Priester.
Das Priestertum Jesu wird nicht durch seine Abstammung bestimmt. Und Jesus hat sein Priestertum dauerhaft inne, weil er „in Ewigkeit bleibt“ (Hebräer 7,11-28, Psalm 110,4). Da Melchisedeks Abstammung oder sein Tod nicht erwähnt werden, können wir uns vorstellen, dass er nach dem Vorbild Jesu ewig als Priester tätig ist.
Als der verheißene königliche Priesterkönig trat Jesus durch seine Himmelfahrt und seine himmlische Thronbesteigung in das ewige Priestertum ein (Psalm 110,4; Hebräer 8,1-2; 9,11-12). Und sein ewiges Priestertum führt „eine viel bessere Hoffnung ein“, die „uns ungehinderten Zugang zu Gott verschafft“, da er „immer lebt, um sich für sie einzusetzen“ für diejenigen, die sich durch ihn Gott nähern (Hebräer 7,19; 7,25).
Jesus, unser königlicher Priester
Als auferstandener König regiert Jesus gegenwärtig als der große Hohepriester (Hebräer 8,1). Da Jesus für immer als Priester fortbestehen wird, ist er in der Lage, diejenigen, die sich durch ihn Gott nähern, für immer zu erlösen (Hebräer 7,24-25). Achte dabei auf die vollständige und weitreichende Natur des Wortes „für immer“! Jesus ist in der Lage, all diejenigen vollständig zu retten, die sich durch ihn an Gott wenden.
Und als ewiger Priester ist Jesus immer verfügbar, um für sein Volk Fürsprache einzulegen. Dies ist die bessere Hoffnung, durch die wir uns Gott nähern (Hebräer 7,19). Nachfolger Jesu sind frei, sich mutig an den Thron der Gnade zu wenden, weil Jesus ewiger Priester ist. Wir können Jesus in jedem Aspekt und Augenblick unseres Lebens um Hilfe bitten.
In jeder Jahreszeit, in jedem Alter, in jedem glorreichen Hoch und in jedem quälenden Tief können wir auf Jesus schauen, um Gnade zu finden und Barmherzigkeit in Zeiten der Not zu erfahren. Denn Jesus regiert für immer als der Priesterkönig, der ewig lebt, um für uns einzutreten (Römer 8,34; 1. Johannes 2,1-2).
Original von Shara Drimalla & BibleProject Team
Übersetzung von Julia Pfeifer